
Khirbat Al-Khisas, nicht zu verwechseln mit Al-Khisas im Landkreis Safad, war eines der palästinensischen Dörfer, die nach der Nakba von 1948 entvölkert wurden. Das Dorf wurde damals zerstört, und heute befindet sich an seiner Stelle ein Teil der Stadt Aschkelon im besetzten Palästina. Als Teil unserer Serie “Das schönste Land: Die Dörfer Palästinas” stellen wir euch heute das Dorf “Al-Khisas” vor.
Das Dorf hatte eine quadratische Form, und enge Gassen trennten die Häuser voneinander. Die Bewohner, allesamt Muslime, suchten für medizinische, schulische und administrative Dienste die Stadt Al-Majdal sowie die Dörfer Al-Jura und Na‘liya auf. Wasser für den äußeren Gebrauch bezogen sie aus Brunnen in der Umgebung des Dorfes. Sie bauten Gemüse und Obstbäume an (darunter Zitrusfrüchte, Weintrauben, Feigen, Mandeln und Aprikosen), die auf Bewässerung angewiesen waren. In den Jahren 1944/1945 waren insgesamt 191 Dunam[i] 0,191 km2 für Zitrusfrüchte und Bananen, 419 Dunam 0,419 km2 für Getreide und 2.671 Dunam 2,671 km2 für bewässerte Flächen oder Obstgärten vorgesehen.
Es lag auf ebenem Land in der Küstenebene, mit Sanddünen im Norden und Westen. Die Bewohner pflanzten dort Bäume, um zu verhindern, dass der Sand ins Dorf vordrang. Eine kleine Nebenstraße verband Al-Khisas mit der Küstenstraße, die etwa vier Kilometer östlich verlief, und von dort gab es Verbindungen nach Gaza und Al-Majdal. Andere unbefestigte Wege führten zu den umliegenden Dörfern. Funde von Ruinen und Gräbern deuten darauf hin, dass die Gegend schon in der Antike besiedelt war.
Das Dorf zählt als eines der jüngsten Dörfer Palästinas, da es nach dem Ersten Weltkrieg auf den Resten einer Ruine entstanden ist und wurde im Index-Gazetteer of Palestine als Weiler eingestuft. Zunächst errichteten Bauern aus der Umgebung einfache Hütten, die sie während der Erntezeit nutzten. Nach und nach ließen sie sich dauerhaft nieder und bauten Lehmziegelhäuser. Der Ort hatte einen annähernd quadratischen Grundriss, die engen Gassen trennten die Häuser voneinander.
Der Name Al-Khisas geht auf die „Khusus“ zurück – einfache Unterstände aus Ästen und Bäumen, die die Bauern zunächst auf ihren Feldern errichteten. Später entwickelten sich daraus Lehmhäuser und schließlich auch Bauten aus Zement. Das Dorf galt mit der Zeit sogar als Ausflugsziel: Menschen aus Al-Majdal, aber auch aus Städten wie Lydda und Ramla, kamen hierher, um die Sommerfrische zu genießen. Von Gaza war Al-Khisas nur etwa anderthalb Stunden Fußweg entfernt. Östlich grenzte es an Na‘liya, westlich an Al-Jura, nördlich an Al-Majdal und südlich an den Gazastreifen.
Nakba 1948
Die israelischen Soldaten betraten das Dorf gleichzeitig mit ihrem Einmarsch in die Stadt al-Majdal, und das geschah am 4.–5. November 1948, am Ende der Operation Yoav.
Warum die Bewohner 1948 flohen, hängt mit den Ereignissen um das Massaker von Deir Yassin zusammen. Die Nachricht von den Gräueltaten verbreitete sich wie ein Lauffeuer, und viele Städte gerieten unter massiven Beschuss und wiederholten Angriffen. So verließen zuerst die Menschen aus Jaffa, Akka, Haifa, Lydda und Ramla ihre Heimat. Kurz darauf folgten die Dörfer Al-Bureir und Barbara, und schließlich mussten auch die Palästinenser aus Al-Majdal, Al-Jura, Na‘liya und Al-Khisas ihre Häuser zurücklassen. Nach zeitgenössischen Berichten gehörte Al-Khisas damit zu den letzten Orten, die entvölkert wurden – mehr als sieben Monate nach den ersten Fluchtwellen aus den nördlichen Städten.
„Ich bin heute vierundsiebzig Jahre alt – nur sechzehn Jahre älter als die Nakba selbst. Doch bis heute habe ich die Bilder meiner Heimat Al-Khisas und der umliegenden Dörfer fest im Gedächtnis. Ich erinnere mich an die Häusergrenzen im Dorf, an die Menschen, und besonders an den Markt von Al-Majdal, den wir täglich besuchten, um unsere Feldfrüchte und Waren zu verkaufen. Nur die Beduinen kamen dorthin ausschließlich am Freitag.
Eines Tages wurde dieser Markt von drei feindlichen Flugzeugen angegriffen. Sie beschossen die Händler und ihre Stände, und viele Menschen wurden verletzt oder getötet. Auch ich war unter den Verwundeten. Ich war damals erst sechzehn Jahre alt, als mich die Splitter der Geschosse trafen. Ich suchte Schutz neben einem Abflussgraben, bis die Flugzeuge verschwanden. Mein Körper war voller Wunden, meine Haut schwarz gefärbt von den Einschlägen.
Ein Verwandter, der in der Panik floh, glaubte, ich sei gefallen, und brachte meiner Familie die Nachricht von meinem Tod. Doch auf dem Heimweg begegnete ich einer Verwandten, und wir beide lachten – so seltsam es klingt – über das Missverständnis und darüber, was ich überlebt hatte.“
Zeugenaussage einer ältere Damen namens „blaue Augen“ aus dem Jahr 2006
Al-Khisas Heute
An der Stelle des Dorfes sind noch die Überreste der Häuser zu sehen, die einst aus Zement und Kalk gebaut waren. Zwischen den Trümmern wachsen dichte Bestände von Kaktusfeigen, dazu Doumpalmen und Sykomoren. Außerdem stehen dort sechs hochgewachsene Eukalyptusbäume. Die umliegenden Flächen werden heute von einer staatlichen Entwicklungsbehörde landwirtschaftlich genutzt.
[i] Dunum bzw. Dunam oder Donum geschrieben (im heutigen Türkischen Dönüm) ist ein Flächemaß aus der Zeit der Osmanen.
Es ist in Vorderasien teilweise heute noch gängig. Der Begriff ist abgeleitet von „dönmek“, was so viel bedeutet wie umkehren bzw. heimkehren. Damit sollte die Fläche beschrieben werden, die ein Mann an einem Tag Pflügen und Abends heimkehren kann. Heutzutage wird in der Umrechnung der Maßeinheit deutlich, dass Dunum unterschiedliche Flächen beschreibt je nach Region:
Im Libanon, in Libyen, in Syrien und der Türkei wird ein traditionelles Dunum von ca. 919 m² verwendet. In Palästina entspricht ein Dunum 1000 m². In dieser Form wird es auch in Jordanien und auf dem Balkan angewandt. Auf Zypern ist ein Dunum 1337,8 m² wegen der dort durch britische Kolonialisten eingeführten Yard-Umrechnung. Im Irak ist ein Dunum 2500 m².
Quellen:
https://www.palestineremembered.com/Gaza/al-Khisas/ar/index.html
https://www.maannews.net/news/26334.html
